Den „Karkhof“ (Kirchhof) hinter der Ludgerikirche erlebt man heute als eine grüne Oase. In den Sommermonaten spendet er mit seinem alten Baumbestand angenehmen Schatten, im Frühjahr kündigen hier hunderte bunte Krokusse an, dass der Winter vorüber ist. Zu jeder Jahreszeit lädt er zum Verweilen ein.
Die letzte Bestattung wurde vor etwa 150 Jahren vorgenommen. Am 30. April 1879, abends um 6 Uhr, wurde die 2½jährige Anna Maria zu Grabe getragen.
Die heutige Form soll der Friedhof zum Ende des 13. Jahrhunderts erhalten haben. Neben der Ludgerikirche, der Landeskirche des Norderlandes, stand eine zweite Kirche, die Andreaskirche. Sie war die Stadtkirche der wachsenden Gemeinde. Somit zeigt das überlieferte Stadtsiegel den Apostel Andreas vor dem schräg gestellten Kreuz.
1288 war sie fertiggestellt: Eine dreischiffige Basilika aus Tuff- und Backstein, 65 m lang, mit drei hohen Türmen. Der Westturm diente durch seine Höhe als Seezeichen und leistete so auch für die Seefahrer wertvolle Dienste.
Aber schon 250 Jahre später wurde die Andreaskirche infolge von Häuptlingsfehden durch Balthasar von Esens und seinen Truppen so stark beschädigt, dass es nicht wieder zu einem Aufbau kam. 1756 trug man die letzten Steine ab. Steine waren in dieser Zeit ein wertvolles Gut, daher wurde sie zum Teil in verschiedenen umliegenden Häusern wiederverbaut.
Anzunehmen ist auch, dass es sich bei einem Relief aus dem Jahre 1240 um ein Relikt aus der Andreaskirche handelt. Es befindet ich im Tympanon über dem Nordportal der Ludgerikirche und zeigt die Anbetung der drei Könige. Daneben sieht man Maria mit ihrem Kind, Josef und ganz rechts eine Figur mit einem kleinen Kreuz. Man geht davon aus, dass diese den heiligen Andreas darstellen sollte.
Die Kirchen und den Kirchhof umrahmte eine Kirchhofmauer, von der ein Großteil noch erhalten ist. Wie in vielen Dörfern auch heute noch üblich, wurden Bestattungen um die Kirche herum auf dem Kirchhof vorgenommen. Neben kleineren Zugängen gab es die Süderpoort beim Glockenturm, die Westerpoort neben dem Weinhaus (heute Kriminalpolizei), sowie die großzügig gehaltene Osterpoort in Richtung Innenstadt und Marktplatz, die vielen Nordern noch gut in Erinnerung ist. (Poort=Pforte)
Überhaupt gab es genaue Regelungen, welche Pforte von welchem Stadtteil bei Bestattungen zu nutzen war. So war z.B. die Süderpoort für die Bewohner der Kirchstraße vorgeschrieben, die Westerpoort für die Einwohner vom Burggraben, der Westerstraße und des Fräuleinshof und die Osterpoort für Anlieger des Marktes, der Siel-, Oster-, Mühlen- und Klosterstraße.
Die Eisenteile der stolzen Osterpoort wurden im April 1940 abgebaut. Vermutlich entgingen auch sie nicht dem Schicksal des leidlichen Weges in die Rüstungsindustrie.
„Dat elende Karkhof“ wurde er genannt, der Bestattungsplatz, ganz ohne Grabsteine oder Kreuze. Er befand sich auf dem Rasendreieck östlich des Hochchors. Hier wurden Menschen bestattet, die durch eigenes Zutun aus dem Leben geschieden waren, aber auch Fremde, Heimatlose und von der See Freigegebene sowie Unbekannte, die aus dem Elend kamen (alt-sächsisch „eli lenti“ = fremdes Land, später auch für leidvolles Dasein)
Mitten auf der Anhöhe des Friedhofs findet man den sagenumwobenen Warzenstein. Es heißt, der Bremer Bischof Rembert habe während der Normannenschlacht im Jahre 884 auf diesem Stein kniend so inbrünstig für den Sieg der Friesen gebetet, dass seine Knie dort Abdrücke hinterlassen haben. Auch wurden ihm heilende Kräfte bei der Behandlung von Warzen zugeschrieben, kommt man mit dem durch Regen und Tau gesammelten Wasser in Berührung.
Wahrscheinlicher aber ist es, dass er als Ständerstein einer Holzkirche anzusehen ist, die auf einem von Menschenhand aus Heidesoden aufgeschichtetem Erdhügel gestanden haben muss. Schließlich hatte die Christianisierung bereits Einzug erhalten, lange bevor die beiden Prachtkirchen, die Ludgeri- und Andreaskirche erbaut wurden. So ist ein Vorgängerbau wahrscheinlich, wie auch spätere Bohrungen in den 1990er Jahren unterstreichen.
Etwa 9.000 Grabstellen soll es im Laufe der Jahre auf dieser Anhöhe gegeben haben. Nur noch wenige Grabsteine, Platten und Stelen sind erhalten.
Der Förderkreis Kulturschatz Ludgeri hat sich zur Aufgabe gemacht, dieses wichtige Kulturgut zu bewahren und sich dafür Steinmetz Sven Thater aus Friedeburg ins Boot geholt. Die Flächen gründlich aber auch schonend zu reinigen, ist sein oberstes Ziel.
Viele Einzelheiten sind bereits wieder erkennbar: Die nach unten zeigenden Fackeln für das verlöschende Leben, der Schmetterling als Symbol für die aufsteigende Seele, die sich in den Schwanz beißende Schlange als Symbol der Ewigkeit. Inschriften erzählen Geschichte und Geschichten. Nicht nur Geburts- und Todesdatum sind vermerkt, auch Wichtiges aus dem Leben des verstorbenen Menschen ist hier in Stein gemeißelt.
Ein ganz besonderer Platz, dieser „Alte Friedhof“. Wie schon zu Beginn erwähnt, lädt er zu jeder Jahreszeit zum Verweilen ein. Und jetzt gibt es wieder einen Schatz mehr, den es zu entdecken gibt.